Interview mit Timothy Olson – Trailrunner
Wir hatten die Gelegenheit, ein Interview mit Ultrarunner Timothy Olson zu ergattern: Hier erzählt er von seiner unglaublichen Leistung, den über 4000 Kilometer langen Pacific Crest Trail in 51 Tagen zu laufen. Er gibt uns aber auch einen Einblick in sein persönliches Leben. Wie Timothy Olson mit dem Trailrunning seine schwierige Vergangenheit überwinden konnte, was ihn antreibt und welche große Rolle Meditation und Achtsamkeit bei seinem Weltrekordversuch auf dem PCT in den USA spielten, erfährst du im folgenden Interview.
Dein PCT-Erlebnis erinnert mich an eine Figur aus einem berühmten deutschen Kinderbuch namens 'Momo'. Er wird Beppo Straßenkehrer genannt und lehrt: Wenn man eine lange Straße vor sich hat und man versucht, zum Ende zu eilen, wird sie gefühlt nicht kürzer. Man darf immer nur an den nächsten Meter denken. Atemzug, Schritt und Besenstrich. Atemzug, Schritt und Besenstrich. Würdest du sagen, da gehst du ähnlich vor?
Ich versuche, jeden Lauf fließend zu gestalten und in einen Flow-Zustand zu kommen. Ich denke, das hat viel mit meinem Training im Vorfeld zu tun. Manchmal stehe ich einfach auf und gehe laufen, und mache meine Atmung, aber wenn ich den Raum und die Zeit dazu habe, versuche ich, schon meinen Morgen mit etwas Atemarbeit zu beginnen. In dem Zuge halte ich die Luft an und setze meine Intention für den Tag. Auf dem PCT war das alles einfach viel größer und der Track hat sich tatsächlich ewig angefühlt. Wenn man 15 Stunden am Tag läuft, kommen eine Menge Dinge zusammen.
Zeitweise hatte ich starke Schmerzen und war wirklich müde und gequält. Ich bewegte mich auf Messers Schneide: Wird mein Körper zusammenbrechen? Der Schlafmangel, das Fehlen von allem, was mich wieder heilen und mir helfen könnte. Es gab einfach keine Zeit und keinen Raum für all das. Mein Körper musste sich ständig schnell erholen und sich anpassen. Und das war wirklich eine Herausforderung.
Aber ich glaube, in diesen Flow-Zustand zu kommen, hat mir sehr geholfen, weil ich mir dann keine Sorgen mehr gemacht habe wie: Oh, ich habe noch 2000 Meilen vor mir, oder ich muss noch einen anderen Staat durchlaufen. Man lässt sich einfach von dem Gedanken treiben, und fokussiert sich nicht darauf, wie groß dieses Vorhaben tatsächlich ist. Ich konnte das auch gar nicht wirklich begreifen.
Du hast 3 Kinder und eine Frau. Wie schaffst du es, trotzdem Zeit mit ihnen zu verbringen, besonders wenn du auf diesen ultra langen Läufen bist? Motivieren sie dich durch ihre Anwesenheit?
Als ich auf dem PCT unterwegs war, haben sie mir sehr geholfen und waren für mich da. Dieses Jahr war aber alles anders als die meisten davor, denn ich war dieses Jahr ganz und gar Vater. Nach dem PCT hat meine Frau ein Baby zur Welt gebracht und ist zusätzlich mitten in einem Masterstudiengang. Jetzt ist es an der Zeit, etwas zurückzugeben und Krista, meiner Frau, die Möglichkeit zu geben, sich weiterzubilden und Dinge zu tun, die für sie wirklich wichtig sind. Ich hingegen kann mich ein wenig vom Laufen zurückziehen und mich auf meine Familie konzentrieren.
Ich habe dieses Jahr trotzdem viel unternommen. Mein ältester Sohn ist zehn geworden und wir unterrichten ihn hier zu Hause. Wir haben hier in Boulder eine Homeschooling-Kooperative mit einigen anderen Familien. Ich denke, es ist besser für meine Kinder, mehr Zeit in der Natur zu verbringen und ihrem eigenen Lern- und Lehrplan zu folgen, als das, was ich in den Schulsystemen der Vereinigten Staaten sehe. Meine Frau und ich unterrichten hier einen Kurs über Achtsamkeitsmeditation für andere Heimschüler. Dienstags kommt eine kleine Gruppe von Kindern zu uns und wir nehmen sie mit auf eine Wanderung, um ihnen Lebens-, Wander- und Achtsamkeitskompetenzen zu vermitteln.
Wir vereinen also all die Dinge, die ich im Leben liebe: Zeit mit meiner Familie, aber auch mit Freunden und der Natur. Und so verbringe ich im Moment die meiste Zeit des Tages. Ich habe einen zehnjährigen und einen sechsjährigen Sohn und jetzt auch eine einjährige Tochter. Mein Leben dreht sich also sehr stark um meine Familie, um Kinder.
In deiner Vergangenheit hattest du ein ganz anderes Leben – Drogen und Alkohol spielten eine große Rolle. Wann hattest du den Wendepunkt in deinem Leben und wie sah er aus? Wie bist du soweit gekommen?
Es gab eine wirklich schwierige Zeit in meinem Leben, in der ich viele schlechte Entscheidungen getroffen habe. Und ich glaube, das liegt zum großen Teil an meiner Erziehung. Ich bin nicht in den gesündesten Verhältnissen aufgewachsen und es gab Traumata und andere Dinge, die ich jetzt in einer Therapie aufarbeiten muss, dadurch, dass ich z. B. draußen in der Natur bin, lange Strecken laufe und Atemübungen mache.
Das ist eine andere Art Therapie, die mir aber wirklich geholfen hat, mein ganzes Selbst zu lieben. Ich glaube, als ich aufwuchs, hatte ich viele Ängste, und als Kind habe ich mich oft geschämt, weil ich einen großen inneren Kritiker hatte, so habe ich mich als Kind sehr unwürdig gefühlt. Ich geriet dann später immer weiter in die Drogen- und Alkoholspirale und versuchte einfach, mich zu betäuben und wollte nicht wirklich leben.
Zum Sport habe ich mich aber immer schon hingezogen gefühlt. Als ich aufwuchs, mochte ich Basketball sehr und hatte Leute, zu denen ich aufschaute. Einer meiner größten Wendepunkte war, als ich mich 2009 entschied, eine Massageausbildung zu machen. Da habe ich auch mit Trailrunning und Ultralauf angefangen. Schon vorher bin ich gelaufen, habe mein System gereinigt, Drogen und Alkohol entgiftet und versucht, mein Leben neu zu gestalten. In der Massageschule kam ich mit verschiedenen Meditationslehrern in Kontakt. Wenn ich laufen ging, hörte ich mir einige der Lehren an und begann zu meditieren.
Die Meditation ist ein wichtiger Bestandteil deines Lebens. Wie genau integrierst du sie in deinen Alltag und wie ist diese Praxis mit dem Laufen verbunden?
Ich beginne immer noch jeden Morgen mit der Meditation. Manchmal machen auch die Kinder mit, aber meistens spielen sie morgens nur oder frühstücken. In der Zeit setze ich mich hin und mache ein paar Minuten Meditation oder Atemarbeit. Manchmal klettert sogar mein kleines einjähriges Mädchen über mich drüber, während ich meditiere.
Ich versuche also immer noch, mir ein wenig Zeit für mich zu nehmen. Und dann nutze ich natürlich auch die Zeit des Mittagsschlafs der Kinder, um etwas für mich zu tun. Außerdem veranstalten wir Retreats. Wir nennen sie „Achtsamkeits-Retreats“, wo ich Achtsamkeitsmeditation, Atemarbeit und andere Praktiken vorstelle, die wirklich zur Selbstverwirklichung beitragen. Desweiteren veranstalten wir hier einen monatlichen Gruppenlauf, bei dem ich eine Meditation und einen Lauf für die örtliche Community leite. Ich bin gerade dabei, eine Zertifizierung für Atemarbeit zu machen, die ich bereits unterrichte, aber ich dachte mir, ich lasse mich besser zertifizieren. Leute mögen manchmal einfach Zertifikate.
Aber zurück zur Frage: Was das Laufen mit Meditation zu tun hat? Das ist einfach: Ich benutze das Laufen immer ALS Meditation, weil ich dabei in die Natur komme und mich wirklich mit ihr verbinde, und oft halte ich einfach inne und bin voller Ehrfurcht und Dankbarkeit für die Natur und sehe sie wirklich als einen sicheren Ort der Heilung.
Dann setzte ich mich in die eigentliche Meditation und merkte, dass das Laufen oft schön und hilfreich war. Aber es kommt auch vor, dass ich vor meinen Problemen eigentlich nur davon rannte und das, bis ich völlig müde war. Also habe ich einfach beides hochgehalten. Das Laufen und das Meditieren heilten meinen Körper und halfen ihm auf wunderbare Weise.
Wenn ich auf Trails unterwegs bin, hilft mir auch der richtige Atem sehr. Er hilft mir, dass ich nicht immer nur diese Gedankenspiralen in meinem Kopf habe und an all die Dinge denke, die Menschen tun. Ich bin auch ein Mensch und habe diese Wurzeln, aber ich kann sie irgendwie ausblenden und wirklich voll und ganz präsent in der Natur sein. Das hilft mir sehr.
Fragst du dich auch manchmal: Warum tue ich das?
Ich musste manchmal wirklich in mich gehen und prüfen, warum ich das tue. Und es gab definitiv Momente, in denen ich mich gefragt habe: Ist es das alles wert? Denn ich leide gerade, und ich wollte nie zu dem Punkt kommen, wo das Ganze zu einem großen Leiden wird.
Es gab Momente, in denen ich die FKT (fastest known time) und die ganze Publicity und meine Sponsoren und die Tausende von Leuten, die mir folgten, wirklich aus meinem Kopf streichen musste. Auch die Angst, dass ich versagen könnte und all diese Dinge. Außerdem war es immer wieder schwer für mich, dass meine Familie da war.
Meine Frau war während des PCTs im achten Monat schwanger, und ich wollte für sie da sein. Jede Nacht kamen bei ihr eine Menge Emotionen hoch. Sie hat sich wirklich angestrengt und ist aus unserer Komfortzone herausgegangen. Ich wollte das wirklich honorieren. Ich wollte einfach für sie da sein, ihr Raum geben, ihr Liebe zeigen und in unser normales Leben zurückkehren. Diese Reise wäre nichts wert gewesen, wenn wir uns gestritten hätten. Und obwohl es im PCT eine Priorität war, den zeitlichen Rekord zu erreichen, hatte meine Familie immer wieder oberste Priorität. Wenn das Kind früher als erwartet gekommen wäre, hätten wir das ganze Projekt abgebrochen. Ursprünglich hatten wir geplant, das Projekt im Jahr zuvor durchzuführen. Wir hatten also nicht geplant, während dieser Zeit schwanger zu sein.
Der PCT verbindet unberührte Natur mit seltenen Tierarten, sanfte Hügel und Wälder mit schroffen Bergketten. Hier durchzurennen hat viel Potential für abenteuerliche Erlebnisse. Erzähl uns doch von deinem Abenteuer PCT und deinen intensivsten Momenten.
Einen ganz besonderen Moment hatte ich, als ich in den Sierras war. Das war kurz vor dem John Muir Pass, einem ziemlich hohen und sehr berühmten Punkt auf dem Weg. In der Nacht davor hatte ich eine sehr lange Wanderung hinter mir. Die Tage in den Sierras waren wirklich hart.
In diesen fünf Tagen konnte ich weder im Zelt noch im Wohnmobil übernachten. Also habe ich eine kleine Tasche mitgenommen, in der mein „Schlafzeug“ war. Ich war wie ein Burrito da draußen, eingewickelt in Alufolie und eine Sicherheitsdecke. Darin habe ich also geschlafen. Mein Nachtlager war an einem Bach. Trotz des harten Tages war ich einfach zufrieden und glücklich... und dann, mitten in der Nacht, kam ein Sturm auf. Auf 4000 Metern. Ich steckte den Kopf aus meinem kleinen Burrito und sah den ganzen Himmel in einem unglaublichen Licht. Es war drei Uhr morgens, und die Wolken waren bunt. Es war wirklich interessant, ein verrückter Sturm und die Wolken wirbelten nur so herum.
Es gab einen Moment, in dem ich mich in meinen Schlafsack zurückziehen und so tun wollte, als ob nichts passiert wäre, aber dann wurde mir klar: Nein, ich bin hier draußen und ich bin die einzige Person, die auf mich aufpassen kann. Und ja, ich habe nur 2 Stunden Schlaf bekommen, aber ich muss hier raus. Meine Sachen waren nicht wasserdicht genug, also musste ich raus aus dem Sturm, weil es wirklich gefährlich werden konnte.
Es war einfach dieser surreale Moment, in dem man merkt: Man muss auf die Natur hören. Und die hat einen ganz anderen Zeitplan, als einem lieb ist. Sie hatte nicht vor zu warten. Ich habe mich entschieden, in der Natur zu sein. Ich habe mich entschieden, diese wirklich wilde Sache zu machen. Und dazu gehört es, solche harten Momente zu haben. Sie öffnen dich und bringen dich in die Tiefen deiner Seele.
Und ich glaube, ein weiterer Moment, der für mich etwas verändert hat, war in Oregon. Ich hatte mich gerade mit meinem Team getroffen und sie haben mir meine Sachen für die Nacht besorgt und etwas zu Essen gebracht. Ein paar Tacos. Es ist schön, einen kleinen Snack zu haben, bevor man losrennt. Ich wusste, dass ich die Nacht durchmachen würde und mitten im Nirgendwo schlafen musste.
Ich war also an diesem wirklich ruhigen und friedlichen Ort, und ich hörte ein kleines Knacken. Ich spürte, dass da rechts von mir etwas war, und ich schaute mit meinem Stirnlampenlicht hinüber. Und plötzlich sehe ich diese Augen, und es war die Silhouette dieses großen Wesens, und es war so groß und sah so schwarz aus, dass ich dachte, es sei ein Bär. Es war riesig. Und ich dachte mir, ich will es wieder sehen. Also drehte ich mich mit meiner Stirnlampe um und schaute es mir an.
Ich sah seine Augen, und dann sah ich die ganze Silhouette, und es war der größte Berglöwe, den ich je gesehen habe. Ich war wirklich erschrocken. Ich schaue zu ihm hinüber, und er nickt mir zu und geht weiter seinen Weg, in eine andere Richtung. Und ich lief einfach weiter auf dem Pfad in die entgegengesetzte Richtung. Und es war wie zwei Schiffe, die in der Nacht aneinander vorbeifuhren. Ich hatte so viel Angst, dass ich dachte, ich werde gleich gefressen... und das war wahrscheinlich das fünfte oder sechste Mal, dass ich einen Berglöwen auf dem PCT gesehen habe, vielleicht das 15. Aber dieser hier war der größte, der größte von allen. Er war der König des Waldes. Und aus irgendeinem Grund hat er mich einfach durchgelassen. Es war in den letzten paar Tagen auf dem PCT. Ich fühlte mich so sehr mit der Natur verbunden und in diesem Moment wusste ich, dass ich auf dem richtigen Weg war.
Welche Schwierigkeiten hattest du mit dem PCT an sich? War die Wegfindung gut, wie war die Beschaffenheit?
Ich meine, es gibt definitiv Stellen, an denen man sich verlaufen konnte. Und ich habe mich verlaufen, aber manchmal, wenn man den falschen Weg nimmt, gibt es einige Abschnitte mit rutschigen Felsen. Da muss man sich dann schon irgendwie durchschlagen. Und dann gab es auch so viele umgestürzte Bäume. Es war manchmal wirklich entmutigend, wie schwer der Weg war. Besonders im Sierra-Abschnitt gab es Zeiten, in denen ich vier oder fünf Tage lang keine Menschen sah und Hunderte von Meilen zurücklegte. Und ein paar Tage vor dem letzten kleinen Stück nach Kanada gab es einen 170 Kilometer langen Abschnitt, auf dem man niemanden auf dem Weg erreichen konnte. Mein Trainer begleitete mich also auf diesem Abschnitt und wir wanderten und schliefen ein paar Tage lang mitten im Wald. Aber es war eine wirklich schöne Zeit. Tatsächlich waren einige meiner Lieblingsmomente genau diese wirklich ruhigen Zeiten.
Für den Notfall hatte ich den Garmin-Spot, so dass die Leute das Signal finden konnten. Mein Team hätte mich dadurch orten können, wenn ich mich verletzt hätte. Es gab einen S.O.S.-Knopf, mit dem ich quasi aussteigen konnte. Zusätzlich haben wir alles über das GPS meines Handys verfolgt, damit wir den offiziellen Rekord aufstellen konnten. Es gab definitiv Zeiten, in denen ich den FKT anstrebte und versuchte, mich zu pushen. Aber manchmal habe ich mich selbst aus dem Moment herausgenommen und mir keine Gedanken darüber gemacht, wie viele Kilometer ich an diesem Tag zurückgelegt habe oder wie es mit meiner Verletzung aussieht... Ich hatte übrigens eine schlimme Verletzung, bei der ich wirklich dachte, dass ich aufhören müsste.
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