Über kleine Momente, zugefrorenes Meer und warme Begegnungen – Auf zwei Rädern durch Europa
In diesem Interview geben Deborah und Simon einen spannenden und herzerwärmenden Einblick in ihre Radreise einmal längs durch Europa. Seit Anfang Januar sind die beiden auf ihren Trekkingrädern unterwegs und reisten von Kroatien über Kreta bis ans Nordkap. Das sind knapp 10.000 Kilometer und 17 Länder. Was dabei gefrorenes Meer, (un)nötiges Gepäck, kleine Begegnungen und die Akzeptanz des Schlimmsten für eine Rolle spielen, erfahrt ihr in den folgenden Zeilen.
Seit Anfang Januar seid ihr auf euren Trekkingrädern und mit Zelt in Ost- und Nordeuropa unterwegs. Von Kroatien über Kreta bis ans Nordkap. Das sind um die knapp 10.000 Kilometer und 17 Länder – und das im Winter und Frühling. Wie seid ihr auf diese verrückte Idee gekommen?
Wir waren in unseren Flitterwochen in Norwegen mit dem Auto unterwegs und da haben wir einen älteren Mann auf seinem Fahrrad gesehen. Bei Regen und Wind bei 4 Grad ist der einen Pass hochgestrampelt. Wir sind dann schön in unserem warmen Auto an ihm vorbeigedüst, schauten uns an und dachten beide: „Das fühlt sich doch irgendwie falsch an, oder?“ Der ältere Mann rockt das hier und wir sind ganz entspannt und gediegen in unserer Komfortzone unterwegs. Wir sind doch eigentlich jung und aktiv und sollten sowas auch mal ausprobieren.
Wir hatten schon länger eine Weltreise für ein halbes Jahr geplant. Durch dieses Erlebnis kamen wir auf die Idee, das Ganze dann mit dem Rad zu machen: Wenn nicht jetzt, wann dann? Diese Art des Reisens bringt uns viel näher an die Menschen und die Kulturen und ist die perfekte Geschwindigkeit des Reisens für uns.
Auf so einer Radreise wechseln sich Infrastruktur und Städte mit unberührter Natur ab. Wo habt ihr euch am ‚einsamsten‘ gefühlt? Wo wart ihr der Natur am nächsten?
Also grundsätzlich gibt es gar nicht so viele Orte hier in Europa, wo es wirklich einsam ist. Es leben einfach überall Menschen. Gerade in Finnland dachten wir, dass es sehr einsam wäre, aber selbst das war nicht der Fall. Südfinnland hat alle paar Kilometer Häuser und Supermärkte. Wahrscheinlich würden wir am ehesten Lappland als einsamsten Ort sehen.
Wir sind jetzt gerade nach der Saison da, wo die ganzen Skifahrer schon wieder zu Hause sind. Da ist hier echt tote Hose. Und da der Frühling hier nicht, wie eigentlich geplant, die Wärme ins Land bringt, sind auch noch kaum Touristen in der Region. Hier gibt es auch nicht so viele Ortschaften, und so fährt man oft einige Kilometer durch Wald und Fjell... oder sogar über das zugefrorene Meer! Das war echt ein verrücktes Gefühl!
Fahrt ihr jeden Tag und habt ihr einen strikten Zeitplan? Wie viele Kilometer und Höhenmeter macht ihr denn im Schnitt?
Im Schnitt sind wir bei 76 Kilometern und 500 Höhenmetern am Tag und wir fahren so etwas über 5 Stunden pro Tag Fahrrad. Für uns fühlt sich das gar nicht so rasant und schnell an und wir machen auch sehr lange Pausen: Zwei, drei Kaffeepausen, eine Stunde einfach mal die Landschaft bestaunen.
Am Anfang wars noch etwas stressiger, als die Tage kürzer waren, aber jetzt, wo es so 18 Stunden Tageslicht gibt, ist das echt entspannt. Und seit Polen gabs auch kaum noch Höhenmeter. In Kroatien, Griechenland, an den Küsten von Albanien waren die meisten Steigungen. Und da merkt man natürlich auch jedes Kilo. Dafür sind die Abfahrten umso schöner.
Was waren die schönsten und die einprägsamsten Erlebnisse und Etappen auf eurer Reise?
Da müssen wir uns jetzt zügeln, da gabs so viel! Die schönsten Momente waren die, wo wir andere Radreisende kennengelernt haben. Wir haben zum Beispiel einmal jemanden getroffen, der eine Katze mit dabei hatte. Jetzt hier in Skandinavien treffen wir auch immer wieder den gleichen Radfahrer und reisen manchmal ein kleines Stück mit ihm. Es geht einem bei solchen Begegnungen auf jeden Fall immer das Herz auf, da wir alle eine gemeinsame Erfahrung teilen und diese Menschen dieselben Glücksmomente und auch Tiefs haben wie wir.
Bei uns haben sich auch ganz oft die „Lowlights“ in „Highlights“ verwandelt: 12 Tage Regenzeit in Albanien und ausgerechnet hier haben wir keinen Schlafplatz gefunden. Und dann hat ein Hotelbesitzer uns kostenlos bei ihm im Bungalow schlafen lassen. Solche Situationen gab es echt oft: Am Anfang echt katastrophal, aber dann am Ende wird alles immer gut. Die Extremen in der Wahrnehmung sind einfach viel intensiver – so auch die Höhen und Tiefen.
Welches die schönsten Etappen waren, ist schwer zu sagen… Fast alle hatten irgendwie ihren eigenen Reiz.
Müssten wir uns festlegen, würden wir unsere schönsten Etappen aber in Kreta und Finnland verorten.
Ausgehend von Vääksy an einem aussichtsreichen Laavu führt diese Route über Pulkkilanharju entlang des wunderschönen und längsten See Finnlands ...
Zunächst fahren wir in Küstennähe Richtung Osten, mit der Möglichkeit an dem einen oder anderen Strand einen Zwischenstopp einzulegen.
Wie gut habt ihr euch auf die Radreise vorbereitet? Alles akribisch geplant und davor ordentlich auf der Rolle indoor trainiert?
Wir haben keine Rolle. Für Radreisende haben wir uns glaub ich richtig schlecht vorbereitet. Sowohl auf die Währungen und Roaming-Gebühren, als auch, was unsere Fitness angeht. Also, fit waren wir vorher schon, aber jetzt keine krassen Radsportler. Am besten fährt man einfach los, das Training ist dann die Reise an sich. Wenn man sich noch nicht so fit fühlt, dann macht man halt anfangs nur 30 Kilometer oder 50. Das kann ja ganz individuell gehandhabt werden. Was wir aber am meisten vorbereitet haben war die Ausrüstung. Da haben wir schon viel Zeit reingesteckt, weil das Equipment einfach essenziell für ein gutes Erlebnis ist, gerade bei extremen Temperaturschwankungen.
Die Planung an sich war folgendermaßen: Ganz grob wussten wir erstmal nur die Länder. In unserer Theorie haben wir ja eigentlich geplant, den Winter zu umgehen, deswegen haben wir im Süden angefangen. Naja Pustekuchen, jetzt sitzen wir hier im Schnee. Nach der groben geografischen und zeitlichen Planung fragten wir uns: Welche Sehenswürdigkeiten oder Ecken der einzelnen Länder wollen wir sehen? Und dann geht es wirklich auf die tägliche Ebene runter. Man kann einfach morgens nicht wissen, wo man abends rauskommt. Das ist von so vielen verschiedenen Faktoren abhängig (Gegenwind, spontane Stops, lange Mittagspausen). Also öffnen wir einfach in der Früh Outdooractive, gucken uns das Wegenetz Radfahren an, planen aber zunächst mit der Aktivtät „Rennrad“, weil wir auf der Straße schneller vorankommen. Aber wenn uns auf der Straße zu viel los ist, dann switchen wir um zur Fernradweg-Planung und nehmen eher Radwege oder Seitenstraßen mit. Wir haben bis jetzt damit eine super Erfahrung gemacht und sind echt positiv überrascht, wie gut das geklappt hat. Auch nach Hütten auf dem Weg kann man ja suchen und diese als Zwischenpunkt eingeben.
Was ist euer unnötigstes Gewicht im Gepäck, welches ihr trotzdem nicht missen wollt?
Simon: Tatsächlich habe ich meine Reisegitarre mitgenommen. Für andere mag das sehr unnötig sein, für mich ist es das gar nicht. Aber das liegt wahrscheinlich auch daran, dass ich mit der Musik zu Hause mein Geld verdiene. Ich spiele in einer Band und wir treten auf Hochzeiten, Geburtstagen und Events auf. Und wenn wir wieder zurück kommen, stehen auch schon ein paar Termine an und ich muss einfach in Übung bleiben, meine Finger wieder warmspielen und trainieren.
Deborah: Ich hab viel zu viele Klamotten mitgenommen. In der Türkei habe ich dann über einen Freund einige Sachen wieder heimgegeben und in Bulgarien dann sogar die Lowrider mit einigen Sachen wieder nach Hause geschickt. Seitdem ist es ausgeglichener. Zu Simons Gitarre: Ich finde, das ist es schon wert, denn gerade am Lagerfeuer macht es abends echt eine schöne Stimmung. Jemand anderes hat eine Drone oder eine Kamera oder sonst was dabei. Jeder hat diesen einen „unnützen“ Gegenstand.
Zu den Hardfacts: Wie schwer sind eure Räder? Für wie viele Tage habt ihr Verpflegung dabei? Wie funktioniert das mit dem Duschen? Gönnt ihr euch auch immer wieder Unterkünfte?
Unsere Fahrräder alleine wiegen schon 16 Kilo und mit Reisegepäck drauf wiegen sie so um die 30 Kilogramm. In puncto Verpflegung haben wir am Anfang ohne Erfahrung schon extrem gehamstert, da wir nicht verhungern wollten (ein Problem aller Fernradreisenden). Davon sind wir aber recht schnell weggekommen und kaufen nun jeden Tag frisch ein. Das spart ja auch nochmal viel Gewicht.
Zum Thema Duschen: das wird völlig überbewertet… Im Süden waren wir viel im Meer baden. Jetzt ist Katzenwäsche angesagt. Einmal hab ich mich auch im Schnee „gebadet“. Das geht, wenn man danach am Feuer trocknet.
Wir nehmen uns super selten Unterkünfte. Bis heute haben wir nur 9 Nächte in einer Unterkunft verbracht. Hier genießen wir die Dusche natürlich auch umso mehr. Verrückt, wie solche Kleinigkeiten eine neue Wertschätzung erfahren. Tatsächlich ist der Schlaf bei uns beiden draußen viel erholsamer als in einer Unterkunft. Aber bei -8 Grad ist es für uns im Zelt einfach nicht mehr in der Komfortzone, da müssen wir nachts in die Wärme.
Welches Land hat euch als Radfahrer landschaftlich oder menschlich am meisten berührt?
Menschlich kann man ganz klar Albanien sagen. Die Menschen dort waren unglaublich freundlich und aufgeschlossen. Die haben mit Händen und Füßen mit uns geredet, uns sogar in ihr Haus zum Essen eingeladen. Und landschaftlich wäre es Finnland, weil wir einfach Skandinavien-Fans sind. Wir haben sogar Rentiere gesehen und Elchspuren. Und außerdem waren auch Griechenland und die Türkei unglaublich schön. Das Meer, die Berge…
Eine Tour die es in sich hat. Anfangs fährt man noch entspannt das Tal hinaus, bis sich plötzlich eine super steile Steigung bemerkbar macht.
Direkt am schönen Marmarameer führt die Küstenstraße am Wasser entlang. Es wird immer einsamer bis man plötzlich direkt unterhalb steil ...
Gab es bei euch ein Schlüsselerlebnis oder eine Grenzerfahrung? Was habt ihr daraus gelernt?
Ganz oft war es vor allem das Wetter. Gegenwind kann eine der schlimmsten Sachen sein. Weil man einfach nicht vorankommt und so viel Energie gefühlt ins Nichts verpufft. Auch anhaltender Regen zehrt und Nässe macht kalt.
Aber was wir daraus gelernt haben, ist, dass man einfach weiter durchziehen muss, irgendwann hat auch das ein Ende.
Man wird mit der Zeit auch so viel entspannter, weil man weiß: Man hat bisher noch immer irgendwo einen Schlafplatz gefunden und das Wetter ist immer irgendwann wieder besser geworden. Teilweise haben wir auch unsere Ausrüstung aufgestockt, zum Beispiel haben wir uns Regenponchos geholt. Das funktioniert echt super.
Und wir haben gelernt, dass vieles mental abläuft. Du kannst trotzdem eine schöne Zeit haben, auch wenn die äußeren Umstände schlecht sind, wenn du es dir in deinem Kopf schön machst. Die Einstellung ist entscheidend. „Warum passiert mir das jetzt?!“ – So darf man gar nicht denken. Die Antwort ist: Ich habe es gewollt, ich hab auch schon gute Erlebnisse gehabt und ich weiß, dass ich es auch nicht hätte ändern wollen, weil die Erfahrung, die wir machen, einfach so wertvoll ist. Auch die Frustrationstoleranz wird extrem verbessert und die Glücksschwelle wird sehr gesenkt. Viele Kleinigkeiten machen schon extrem glücklich. Es ist einfach eine intensive Zeit.
Der Schlüssel liegt in der Akzeptanz des Schlimmsten. Und wenn es dann besser wird, ist es gut.
Deborah und Simon fahren gerade noch weiter bis nach Oslo, wo sie dann schätzungsweise Ende Juni ihre Reise beenden werden und mit dem Zug wieder nach Deutschland zurückkehren.
Wenn du neugierig geworden bist und wissen willst, wie es weiter geht: Folge gerne Simons Profil und stöbere durch die schönsten Etappen der beiden.Geschichte auf Karte entdecken
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Diese Route stellt eine groben Überblick der Radreise von Simon und Deborah dar, die Januar bis Mai 2023 von Kroatien über Kreta bis hoch ans ...
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